Gelesen in "Die Zeit", 15. März 2007
Die
Arabischen Emirate shoppen im Westen: Einen Louvre und eine Oper samt Direktor
haben sie schon in den Einkaufswagen gepackt. Aber woher das bunte Stadtleben
holen? Von Tobias Timm

Scheich
Mohammed bin Raschid in Dubai vor einem Gemälde von Sam Francis.
Ein Labyrinth
aus menschenleeren Fluren, Foyers und Zimmerfluchten, gebaut aus Tausenden
Tonnen poliertem Granit und Marmor, die Decken vergoldet, Teppiche, weich wie
Neuschnee, Wasserbassins, Goldmosaike, Palmenhaine im Untergeschoss. Und an
jeder Ecke dieses Labyrinths wartet ein höflicher Angestellter, um den sich
stets verlaufenden Gästen den Weg zu weisen. Vergangenen Dienstag versammelten
sich hier im Emirates Palace, dem pompösesten und wohl auch geschmacklosesten
Hotel des Emirats Abu Dhabi, drei Herren, die der alten Kunst eine neue Zukunft
weisen wollen. Der eine war Kronprinz Scheich Mohammed Bin Zayed Al Nahyan, der
andere Sultan Bin Tahnoon Al Nahyan, der den Tourismussektor leitet. Gemeinsam
empfingen sie den französischen Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres.
In einem
gigantischen Ballsaal segneten sie den Louvre-Deal ab, ein Geschäft, gegen das
es nicht nur in Frankreich heftigen Protest gegeben hatte. Bis zu einer
Milliarde Euro sollen die Franzosen für ihre Hilfe bei Aufbau und Ausstattung
eines Louvre Abu Dhabi kassieren. Allein für die auf 30 Jahre befristete
Leihgabe des Markennamens Louvre haben die Scheichs 400 Millionen Euro gezahlt.
Im Preis nicht
inbegriffen sind natürlich die Baukosten für das 24000 Quadratmeter große
Museum, das auf der vor Abu Dhabi gelagerten Insel Saadiyat, der Insel des
Glücks, in den nächsten fünf Jahren errichtet werden soll. Noch kann man die
Insel, auf der ein paar Schildkröten leben, nur per Boot erreichen, doch
Baggerkolonnen haben bereits mit dem Bau von Straßen und Brücken begonnen.
Entworfen hat
den Insel-Louvre der Architekt Jean Nouvel, der nach der Vertragsunterzeichnung
und dem folgenden Festessen – importierte Paté, Pilzsuppe, Fisch an
provenzalischen Kräutern, Apfeltarte und Harfenmusik – sein Modell erläuterte.
Das Museum besteht aus zahlreichen Kuben, die durcheinandergewürfelt an ein
altes arabisches oder vielleicht auch griechisches Bergdorf erinnern. Über das
Gewirr der kubischen Ausstellungsräume erstreckt sich eine 180 Meter weite,
flache Kuppel, als hätte da jemand einen weißen Schirm aufgespannt. Nur was für
Kunst hier eigentlich ausgestellt werden soll, blieb unklar. Werden sie aus
Paris Ausrangiertes kommen lassen? So wie bei den Musikfestivals in Dubai, wo
Bands wie Toto und Iron Maiden spielen? Wozu brauchen die Emiratis überhaupt
diese Kunst?
Die
Strategie für die Zeit nach dem Öl? Tourismus à la Studiosus
Der
Tourismus-Scheich mit dem staunend-neugierigen Blick verrät es: Der Louvre und
die anderen auf Saadiyat geplanten Kulturprojekte – ein Guggenheim-Museum für
Gegenwartskunst von Frank Gehry, ein echsenförmiges Theater- und Musikgebäude
von Zaha Hadid und ein Museum für Maritimes von Tadao Ando –, sie alle sollen
vermögende Kulturtouristen anziehen. Man hofft auf weit mehr als eine Million
Menschen, die eigens wegen der Kultur nach Abu Dhabi kommen, ähnlich wie in
Bilbao. Aber hier im Nahen Osten baut man eben nicht nur ein Guggenheim,
sondern gleich noch vier weitere große Kulturzentren – westliche Museen für
westliche Touristen. Mit Beratern wie dem Guggenheim-Chef Thomas Krens, der den
Masterplan für Saadiyat entwickelte, sucht die herrschende Familie nach neuen
Möglichkeiten des Geldverdienens. Denn irgendwann, das wissen die Scheichs,
wird ihr teures Öl vollständig abgepumpt sein.
Im
benachbarten, nur eineinhalb Autostunden entfernten Emirat Dubai spielt das Öl
wirtschaftlich schon längst keine Rolle mehr, es sorgt nur noch für etwa sieben
Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Geld verdient wird hier mit den größten und
luxuriösesten Hotels der Welt, mit Ferienhäusern auf künstlichen Palmeninseln,
mit Einkaufszentren und Themenparks. In irrwitzigem Tempo werden neue Büro- und
Wohnkomplexe gebaut, globale Dienstleistungsunternehmen eröffnen in
Freihandelszonen ihre Filialen, die Mieten explodieren. Die Emiratis haben so
ziemlich alles importiert, was sie selbst und die Zugezogenen aus dem Westen,
Osten und Norden zum Wohlfühlen brauchen. Im gegenwärtig (noch) größten
Einkaufszentrum des Landes, der Mall of the Emirates, gibt es einen Klon des
britischen Edelkaufhauses Harvey Nichols, ein Kempinski-Hotel und eine
gigantische Filiale der französischen Supermarktkette Carrefour mit der wohl
weltweit größten Auswahl an Speiseölen. Emiratische Frauen tragen elegante
schwarze Tücher, mit Gold und glitzernden Steinen besetzt, dazu Handtaschen aus
Paris und Schuhe aus Mailand. Und man kann Ski fahren in dieser Mall. Es gibt
eine ausgewachsene Piste mit Sessellift, Alpenpanorama und verschneiten
Felsformationen. In ausgeliehenen Daunenmänteln streifen Männer und Frauen
durch die Kühle, von außen kann man sie durch riesige Fensterscheiben
beobachten.
Jetzt
soll ein Deutscher Dubai ein wenig Seele einhauchen
Diese
vollkommene Künstlichkeit macht bisher die Aura von Dubai aus, sie lockt die
Touristen. Hier wird die Welt mit allen Kontinenten im Miniaturformat
naturgetreu noch einmal ins Meer gebaut, als ein Urlaubshäuserresort aus kleinen
aufgeschütteten Inseln. Doch scheint viele Einwohner das große Simulacrum nicht
mehr zu befriedigen. »Dubai hat keine Seele«, erklärt der junge Taxifahrer aus
Indien, der jeden Abend mit seinen Fahrgästen mehrere Stunden im Stau steht,
weil die Verkehrsplanung mit dem Boom nicht annähernd mitgehalten hat. Ähnlich
sieht es auch der junge Architekt aus München, der seit zwei Jahren in Dubai
für ein großes britisches Büro am Bau eines Finanzzentrums arbeitet. An den
Wochenenden fährt er so oft wie möglich weg, zusammen mit anderen ausländischen
Freunden, in den Oman etwa, der eine alte Kultur hat. In Dubai gibt es keine
Altstadt, Dubai ist nicht über Jahrhunderte gewachsen, sondern in wenigen
Jahren. Die Moderne hat man hier im Schnelldurchgang nachgeholt. In der Eile
hat man nur vergessen, den wirtschaftlichen Transformationsprozess durch
politische, soziale und ästhetische Programme zu begleiten. Jetzt fehlt etwas.
Der Münchner Architekt nennt es nicht Seele, er nennt es Kultur. Aber auch die
Kultur, so hoffen die Scheichs oder zumindest deren Berater von den westlichen
Consultingfirmen, kann man importieren.
Wie verleiht
man einer Stadt eine Seele? »Das fragen sich auch die Verantwortlichen hier«,
sagt Michael Schindhelm. Kurz nachdem er seine Tätigkeit als Direktor der
Berliner Opernstiftung aufgegeben hatte, meldeten sich bei ihm die Headhunter.
Jetzt ist er seit Anfang März in Dubai – und soll hier den Seelenklempner
spielen. Schindhelm könnte der Kulturdirektor einer Firma werden, die für Dubai
ein neues Stadtzentrum bauen will, eine Lagunenstadt am Ende jenes Wasserarms,
der sich vom Meer durch die Stadt ins Landesinnere schlängelt. Bisher gibt es
dort am Ende des Creeks nur einen Mangrovenwald und Tausende Flamingos. In
Zukunft sollen hier mehr als 200000 Menschen leben und arbeiten. Und in die
Oper gehen.
Schindhelm
möchte noch nicht allzu konkret über seine Auftraggeber und seine Aufgaben
reden, denn die nächsten zwei Monate versteht er als Probezeit. Erst danach
wird er definitiv entscheiden, ob er hierbleibt – und das für Jahre. Im
Mittelpunkt steht der Bau einer großen Oper, aber es geht auch allgemein um
Kunst, um Bildung. Schindhelm möchte zwischen arabischer, asiatischer und
abendländischer Kultur vermitteln. Und an der Identitätsstiftung für eine
Stadtgesellschaft mitarbeiten.
Schindhelms
Augen leuchten hier in einem Café unter freiem Himmel noch ein wenig hellblauer
als sonst. Die Scheichs haben es ihm angetan: »Es gibt keine Geschichte, die
man mit sich herumträgt, keine kulturelle Tradition, von der man möglicherweise
erdrückt werden könnte. Es gibt vor allem eine offene Zukunft. Dubai ist ein
extrem progressives Projekt.« Nach vorn denken und arbeiten, darum ginge es
hier. Und das scheint nach den vielen Monaten Berliner Lokalpolitik eine
angenehme Abwechslung zu sein. Schindhelms Auftraggeber ist eine jener extrem
solventen Firmen, die der herrschenden Familie gehören und über die sie die
gesellschaftliche Entwicklung des Landes organisiert. In den vergangenen Jahren
haben die Scheichs über solche Firmen das wirtschaftliche Wachstum
vorangetrieben, jetzt geht es um die sogenannten weichen Standortfaktoren.
Aber wie soll
urbanes Leben entstehen in dieser Hitze? Wie kann ein Stadtzentrum in einer
Klimazone aussehen, in der man im Sommer keine hundert Meter unter freiem
Himmel laufen will? »Man muss Erfindungen machen, die mit dem Gedanken der Oase
spielen. Oft wird sich das Leben inhouse abspielen. Schon heute findet das
öffentliche Leben nicht ohne Grund in den Shopping-Malls statt.«
Auch
die neue Kunstmesse ist eine solche Inhouse-Erfindung für das kulturelle Leben.
Nur zwei Tage nach der Vertragsunterzeichnung im benachbarten Abu Dhabi
eröffnete Omar bin Sulaiman, Chef des Dubai International Financial Centre, die
Gulf Art Fair, die erste Kunstmesse in den Emiraten. Der freundliche Mann erklärte, dass man sich
mit Kunst noch nicht so gut auskenne, aber man wisse von den wunderbaren
Investitionsmöglichkeiten im Kunstmarkt und unterstütze deshalb diese
Veranstaltung. Vierzig Galerien waren angereist, vor allem aus Europa, aber
auch aus Amerika, Asien und dem arabischen Raum, und hatten ihre Kunst in der
Halle eines Luxusresorts am Strand aufgebaut.
Werke von
Gilbert und George oder Tracey Emin, so Daniela Gareh von der Galerie White
Cube aus London, mussten zu Hause bleiben: »Zu viel Nacktheit, zu viel Sex.«
Dafür habe man Arbeiten für den Einstiegssammler mitgenommen: ein goldenes
Schmetterlingsbild von Damien Hirst für 625000 Pfund etwa oder eine relativ
kleine, schwarz-rot-gelbe Installation von Donald Judd für 425000 Pfund. Nicht
zu sperrige, längst etablierte Gegenwartskunst also. Gleich mehrere der
angereisten Galeristen hatten Dollarzeichen
von Andy Warhol dabei, offensichtlich in der Hoffnung, dass die Emiratis sich
gerade nach diesen Bildern sehnen.
Die nicht sehr
zahlreichen Besucher – unter ihnen der Herrscher von Dubai, Scheich Mohammed
Bin Raschid Al Maktoum – zeigten jedoch für die Dollarzeichen so wenig Kaufinteresse wie für
die Hirsts und Judds. Nur bei den Kunsthändlern aus Indien, etwa bei Nature
Morte aus Delhi, herrschte reges Treiben. »Einheimische Sammler gibt es in
Dubai höchstens ein Dutzend«, erklärte Ibrahim Belselah, ein Finanzunternehmer
aus Dubai, der mit seiner weißen Dischdascha, dem Nationalgewand, unter den
Messebesuchern auffiel. So wie er selbst seien auch die wenigen anderen
hiesigen Sammler aber eher an arabischer Kunst interessiert.
Die wurde auf
der Messe am eindrucksvollsten von der Galerie Third Line gezeigt, einer von
vielleicht fünf ernst zu nehmenden Galerien in Dubai. Sie vertreten unter
anderem Fouad Elkoury, Youssef Nabil und Arwa Abouon, junge Künstler aus dem
Libanon, Iran und auch aus den Emiraten. Ihre Galerieräume haben die drei
Partner von Third Line in der unwirtlichen Industriegegend von Al Quoz, das nur
diejenigen, die nie in New York gewesen sind, das Chelsea von Dubai nennen. Hier
in Al Quoz befindet sich auch die Galerie Total Arts, in der eine junge
Ägypterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, gerade eine
Ausstellung zum Thema Dubai,
Dubai kuratiert hat. Hergezogen ist die Frau mit den kurzen Haaren
vor zwei Jahren, weil ihr Schweizer Freund einen Job in der Tourismusbranche
angeboten bekam. »Die für Künstler interessanten Metropolen im arabischen Raum
sind Beirut und Kairo, nicht Dubai«, sagt sie.
In der
Gruppenausstellung zeigt sie auch ein Werk, das von ihr selbst stammt, eine
Soundinstallation über das Schicksal einer philippinischen Haushaltshilfe, die
von ihren westlichen Arbeitgebern wie eine Sklavin gehalten wird. »Hier in
Dubai lebt man als Mensch aus dem Westen ein gemütliches Leben«, sagt die
Kuratorin. »Aber eigentlich sind dieses Leben und die Leute, die es leben, zum
Kotzen.«
Jeden Tag
strömen nicht nur neue Investitionsgelder ins Land, sondern auch gut 10000
Gastarbeiter. Etwa 85 Prozent der 1,8 Millionen Einwohner von Dubai sind
Ausländer. Die meisten kommen aus Indien und Pakistan, doch gibt es auch Banker
aus den USA, Journalistinnen aus dem Libanon, Taxifahrer aus Afghanistan,
Mobiltelefontechniker aus Deutschland. Prostituierte kommen aus Kasachstan –
der Männeranteil in Dubai liegt bei über 70 Prozent. Fast alle, die zum
Arbeiten hergekommen sind, auf der Suche nach Glück und Wohlstand, wollen
wieder weg. In sechs Monaten, sagen sie, zwei oder spätestens fünf Jahren.
Vielleicht
hatte der junge Taxifahrer aus Indien unrecht, als er vom Fehlen einer Seele
sprach. Dubai hat Charakter, nur ist der nicht gerade sympathisch. Wenn Paris
die Stadt der Liebe und der Eleganz ist, dann ist Dubai die Stadt der Gier.
Nach Dubai kommen vor allem Menschen auf der Suche nach dem schnellen Geld.
Zumeist Männer, die stolz darauf sind, keine Steuern zu zahlen, die vom Fehlen
der Gewerkschaften und vom niedrigen Benzinpreis schwärmen.
Das
passende städtebauliche Leitmotiv ist die künstliche Insel. Die Insel, auf der
sich der Käufer abschotten kann, auf der er sich keine Gedanken um die Nachbarn
machen muss. Dubai, die Stadt mit den meisten künstlichen Inseln der Welt, ist
eine Stadt ohne Solidarität, in der die einen schnell reich und immer reicher
werden, während die anderen, die den Reichen ein komfortables Leben
ermöglichen, in Arbeiterlagern wohnen, zu fünfzehnt in einem Zimmer. Einmal die
Woche telefonieren diese auf dem Festland wohnenden Verlierer mit ihren Frauen
und Kindern daheim in Pakistan oder Indien. Einmal im Monat schicken die
Gastarbeiter einen Teil ihres Lohns in die Heimat. Dieser Anteil wird monatlich
geringer, weil die Mieten auch in den Arbeiterlagern schneller steigen als die
Löhne. Der Preis für ein Pfund Butter hat sich in Dubai im vergangenen Jahr
verdoppelt.
»Bestimmte
gesellschaftliche Entwicklungen können in einer Demokratie nicht stattfinden«,
hatte Schindhelm im Café gesagt: »Eine Stadt aus dem Nichts erfinden, das
kriegen sie in einer parlamentarischen Situation nicht hin. Parlamentarische
Verhältnisse sind immer solche des Skrupels, der Skepsis, der Kritik.«
Vermutlich hat Schindhelm recht. Eine Retortenstadt lässt sich nur ohne Skrupel
in die Wüste stellen. Es braucht Skepsis, Kritik und politische Teilhabe, damit
eine Stadt eine Seele bekommt und eine Kultur, die nicht nur dem Marketing
dient. Vielleicht werden die Bewohner von Dubai irgendwann anfangen, diese
Teilhabe einzufordern. Sie könnten der Stadt einfach den Stecker herausziehen.
Die Herrscher von Dubai würden ganz schön ins Schwitzen kommen.